Bhajansingen: Klaus Kämper

Die alte indische Philosophie ist nicht nur die älteste Philosophie der Welt, sondern zugleich auch die höchste und ehrwürdigste. Die Upanishaden, die Philosophie des Vedanta und die Brahma-Sutras bringen Gedanken und Erkenntnisse zum Ausdruck, die auch heute für jeden, der nach Wahrheit und nach einem Sinn in diesem Leben sucht, vollkommen und überraschend aktuell sind. Lehrsätze wie „Alles ist in Wahrheit Gott“, „Gott ist das Eine ohne Zweites“ oder „Gott ist kleiner als das Kleinste und größer als das Größte“ wären geeignet, die Zwistigkeiten zwischen Menschen und Religionen mit Leichtigkeit zu überwinden. Sogar die enormen Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften führen immer mehr zu einer Bestätigung dieser uralten spirituellen Lehren, die in keinem Fall im Widerspruch zu den Kerngedanken aller Religionen stehen.

In den großen indischen Epen, dem Ramayana und dem Mahabharata, spiegeln sich diese universellen Wahrheiten in zahllosen Geschichten und Beispielen. Die Lehren der Hindus sind oft als „Vielgötterei“ missverstanden worden, aber in Wahrheit geht es immer um Atman oder Brahman, um das eine höchste Prinzip, das in unendlich vielen Formen erscheinen kann. Nur wenn man nicht weit genug nachdenkt, bleibt man in der Vorstellung gefangen, dass Shiva, Vishnu, Krishna, Rama, Gott oder Allah verschiedene Wesen seien. Dabei sind die Namen nur unterschiedliche Bezeichnungen für „dieses Eine ohne ein Zweites“. (So wie Wasser oder Luft für alle Menschen das Gleiche ist, obwohl es in den vielen tausend Sprachen der Welt auch tausend unterschiedliche Namen dafür gibt.) Aus der Sicht der Upanishaden ist dieses höchste und ewige Prinzip, Paramatman, Parabrahman oder Gott auch der innerste Kern und das eigentliche Wesen eines jeden Menschen, ja sogar jedes Lebewesens.

Die Menschheit leidet heute an einem großen Mangel an Selbstwertgefühl, nicht nur was jeden einzelnen betrifft – auch die ganze Menschheit scheint ihren eigenen Wert und ihre Bedeutung überhaupt nicht zu erkennen. Es ist eine Frage der Selbsterkenntnis. Die Bhagavadgita und Patanjali´s Yogasutras zeigen Mittel und Wege, die auch heute für alle Menschen gültig und tatsächlich aktuell sind. Es geht darum, die Gedanken auf das Höchste auszurichten und die Verwirrung zu überwinden und zu beenden.

Eines der schönsten, einfachsten und wirkungsvollsten Mittel ist das konzentrierte Singen Heiliger Namen. Es kann Menschen zu einer unmittelbaren eigenen Erfahrung des inneren Friedens führen. Wenn Singen allein schon „gesund“ ist, wie viel mehr dann, wenn sich gleichzeitig auch der Geist auf die ewigen göttlichen Prinzipien konzentriert. Erstaunlicherweise führt gerade engagiertes und konzentriertes Singen, das Eintauchen in Melodie und Rhythmus – in Verbindung mit den Namen Radha, Krishna, Sita, Rama, Ganesha und anderen – zu einer inneren Stille, mehr und direkter als nur gesprochene oder gelesene Worte. Wenn man sich dazu noch an die in den Liedern geschilderten Geschichten erinnert: wie z.B. Gopala seine Freunde rettet, indem er schützend einen ganzen Berg hochhält (govardhana giridhari), oder wie Rama die Menschen von dämonischen Kräften befreit, oder wie der Gedanke an Shiva jegliche Furcht beseitigt (bhava bhaya harana), dann hat das Singen tatsächlich eine die Seele heilende Kraft.

Nach alter Tradition wird zum Abschluss der Bhajans das „lokasamastah“ angestimmt: „Lokasamastah sukhino bhavantu – mögen alle Menschen (oder alle Wesen) glücklich sein!“ Es ist eines der heiligsten Gebete der Menschheit, das, wenn es die mehr als sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten alle von Herzen so empfinden könnten, die Welt augenblicklich in ein Paradies verwandeln würde.

Bhajansingen: Klaus Kämper

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