Facetten des Hinduismus auf Bali und ihre Spiegelung im traditionellen wayang kulit (Schattenspiel): Simone Brückner

Bereits zweimal in meinem Leben hatte ich Gelegenheit, auf Bali Urlaub zu machen. Nicht in den bekannten touristischen Zentren wie Kuta oder Ubud – nein. Wir waren im zumindestens in den Jahren 2000 bis 2004 relativ ruhigen und touristisch noch wenig erschlossenen Norden Balis, im kleinen Dorf Air Sanih nahe der Stadt Singaraja. Dort gab es damals schon ein traumhaftes kleines Urlaubsresort, betrieben von Dr. Rüdiger Krechel aus der Schweiz, gemeinsam mit dem Balinesen Madé Sukresna (Cilik) und seiner Frau. Heute betreut und leitet Cilik das mittlerweile gewachsene und ausgebaute Unternehmen mit seiner gesamten Familie. Geblieben sind das individuelle und familiäre Flair und die Freundlichkeit und Herzlichkeit, mit der Balinesen generell ihre Gäste empfangen.

Bali gehört zum Indonesischen Inselarchipel und ist die westlichste der Kleinen Sundainseln im Indischen Ozean. Landschaft und Menschen sind u.a. geprägt vom vulkanischen Ursprung der Insel (noch heute sind einige der Vulkane aktiv) und vom warmen tropischen Klima. Bis zu sechs verschiede Vegetationszonen sind hier auf engstem Raum anzutreffen: vom Tropischen Trockenwald und Tropischen Nebelwald über die Feuchtsavanne, Mangrovenwälder, Vulkan- und Lavalandschaft bis hin zur heute dominierenden Kulturlandschaft, die inzwischen den größten Teil der Insel einnimmt.

Von jeher und bis heute spielen daher Naturgötter und Ahnenverehrung sowie damit verbundene Rituale eine große Rolle. Indische Religionen gewannen bereits frühzeitig Einfluss im indonesischen Archipel. So war es vor dem 5. Jahrhundert vor allem der Buddhismus, dessen ausgeprägte Spuren wir bis heute z.B. in Zentraljava finden können. Der Hinduismus gewann später an Einfluss.

Heute ist Bali die einzige Region außerhalb Indiens, Nepals und Mauritius’ mit einer hinduistischen Bevölkerungsmehrheit (über 90%). Die meisten Balinesen bekennen sich zur Hindu-Dharma-Religion, der balinesischen Glaubensform des Hinduismus. Einzug hielt der Hinduismus in Bali im 8. bis 9. Jahrhundert. Religiöse Riten und Feste begleiten die Menschen von der Geburt bis zum Tod und über den Tod hinaus. Sie sind Grundlage des Zusammenhalts von Familie und Dorfgemeinschaft. Religiöse Riten werden wirksam bei der Gründung eines Dorfes, sie ordnen das Familienleben und sind die ethischen Leitlinien des ganzen Volkes. Feiertage, Volksvergnügungen und Versammlungen werden stets von einer Tempelzeremonie eingeleitet. Man kann es bis heute erleben: diese besondere Form des Hinduismus in Bali weist besonders menschliche und soziale Züge auf.

Bali wird auch gern die „Insel der Tausend Tempel“ genannt. Tatsächlich findet man in jedem Dorf mindestens drei Tempel: den Pura Puseh (Ursprungstempel), den Pura Desa (Tempel der großen Ratsversammlung) und den Pura Dalem (Todestempel). In manchen Dörfern sind Pura Puseh und Pura Desa in einem Tempelkomplex vereint. Diese Tempel sind oft sehr aufwendig gestaltet, selbst in abgelegenen Regionen, und stehen den bedeutenden Tempeln der Insel in ihrer Gestaltung kaum nach. Dazu hat noch jedes Haus seine eigenen Tempel und an markanten Punkten (Straßenkreuzungen, Ortseinfahrten, Banyan-Bäume etc.) gibt es Kleintempel oder zumindest einen Opferstock, der im Extremfall ein einfacher Stein sein kann. Mehrmals täglich werden dort die typischen, hübsch gefertigten Opfergaben dargebracht.

Hinduistischer Tempel auf Bali

Während unserer Urlaube auf Bali hatten wir (auch dank des Engagements von Cilik) mehrfach Gelegenheit, als einzige touristische Gäste an Dorffesten, Kremationen oder Tempelfesten teilzunehmen und dabei die enorme Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Balinesen zu genießen. Keines dieser Feste kommt ohne eine der traditionellen Vorführungen des wayang kulit, der indonesischen Form des Schattenspieles, aus. Bis heute sind dies überaus magische, bedeutungsschwere und damit unverzichtbare Elemente eines jeden Festes und des Kultgeschehens. Sie dienen als Abwehrzauber gegen schwarzmagische Bedrohungen, sind aber auch als Unterhaltung aufzufassen, wobei der religiös-mythische Hintergrund nie ganz verlorengeht.

Die Inhalte der Vorführungen entstammen nach wie vor zu großen Teilen den großen altindischen Mythen Mahabharata und Ramayana, aber auch anderen hindujavanischen und hindubalinesischen Geschichten und Epen. Hieraus und aus der Tatsache, dass wayang kulit nur auf den Inseln verbreitet ist, auf denen die hinduistischen Gottheiten herrschen oder geherrscht haben, kann man gewisse Einflüsse der alten indischen Formen des Schattenspieles auf das wayang kulit ableiten.

Der dalang und seine Figuren sowie das Gamelan-Orchester sind bereit

Ein kompletter Figurensatz besteht aus etwa 100 bis 125 Figuren – jeder Schattenspieler besitzt seinen eigenen Satz und stellt diese Figuren oft auch selber her oder bezieht sie von speziellen Kunsthandwerkern. In Bali bestehen diese Figuren aus Büffel- oder Kuhleder. Die Führungsstäbe werden traditionell aus Büffelhorn und neuerdings aus Holz gefertigt. Insgesamt ist jede einzelne Figur ein Kunstwerk, das sorgfältig anhand traditioneller Vorlagen aus dem Leder herausgestanzt und anschließend farbenprächtig bemalt wird.

Während unseres zweiten Bali-Aufenthaltes hatten wir Gelegenheit, einen der bekannten balinesischen Schattenspieler (dalang) zu besuchen. Im Laufe des Gespräches öffnete der dalang auch die Kiste, in der er seine Figuren aufbewahrt und zeigte uns einige davon. Überrascht und inspiriert durch unsere (zugegebenermaßen eher bruchstückhaften) Kenntnisse des Mahabharata und Ramayana und der darin auftretenden Gottheiten und Protagonisten öffnete er dann eine weitere Kiste – die mit den abgespielten Figuren. Nicht nur der Schattenspieler selbst, auch jede seiner Spielfiguren müssen eine Weihe durchlaufen. Dementsprechend werden diese Figuren sehr in Ehren gehalten, immer wieder liebevoll repariert und auch nach Beendigung des Einsatzes nicht einfach entsorgt, sondern weiter aufbewahrt. Manche dalang äschern abgespielte Figuren feierlich ein, ebenso wie auch verstorbene Menschen in einem festlichen Ritus verbrannt werden.  Zum Abschied schenkte der dalang uns eine dieser alten Figuren. Die ehemals leuchtende und farbenprächtige Bemalung ist überwiegend verschwunden und man erkennt mehrere Reparaturen. Für einen Kenner besitzt diese unscheinbare alte Schattenspielfigur dennoch einen hohen ideellen Wert – und es ist eine große Ehre, eine solche vom dalang geschenkt zu bekommen. Heute hat diese Figur einen Ehrenplatz in unserem Eingangsflur daheim.

Balinesische Schattenspielfiguren

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die möglicherweise wichtigste Funktion des wayang kulit liegt wohl darin, die Mythen des Hinduismus zu vermitteln und zu verbreiten, die Götter, Ahnen und Geister lebendig und für jeden Zuschauer sichtbar zu machen. Damit hat das Schattenspiel bis heute eine große Bedeutung für den Erhalt und das Weiterleben der Hindu Bali Religion.

 Zum Schluss eine kleine Ermutigung für Ihren nächsten Bali-Urlaub (ich hoffe doch, Sie haben ein wenig Lust bekommen): lernen Sie ein paar Brocken Indonesisch. Wie überall auf der Welt gelingt es auch auf Bali in besonderem Maße, die Herzen der Menschen zu erobern,wenn Sie die Begrüßung in der Landessprache erwidern oder auf ein oft gefragtes „Apa kabar?“ (wie geht es?) mit dem üblichen „baik-baik“ (ganz gut) antworten können. Es ist wirklich sehr einfach und die Belohnung in Form eines strahlenden Lächelns gewiss.

Simone Brückner, Mai 2017

Quellen und Links:
http://ciliksbeachgarden.com/
http://bali-intern.de/
Günter Spitzing, Die Schattenwelt Indonesiens, Verlag asu poleng e. K. Hamburg, 2002
Wikipedia
Bilder: Brückner / Brüsehaber

Facetten des Hinduismus auf Bali und ihre Spiegelung im traditionellen wayang kulit (Schattenspiel): Simone Brückner